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Kapitel 3 des Buches „Mit der Angst an der Hand und der Hoffnung im Rucksack“ – Die wunderbare Welt der Hypnotherapie (Teil 1)

„Ich möchte hier gerne noch eine Erfahrung einfügen, die ich als 10-Jährige machte. Ich lag über Weihnachten mit schwerem Husten, Fieber über 40 Grad und einem Delirium im Bett. Meine Eltern riefen den Notarzt und dieser diagnostizierte eine Bronchitis. Später sollte sich herausstellen, dass ich an einer Lungenentzündung litt. Das Wunderbare aber war, dass ich am nächsten Tag fieberfrei war, weniger hustete und mich fit fühlte. Der Arzt hatte mit seiner Diagnose für Ruhe und Sicherheit sowohl bei mir als auch bei meinen Eltern gesorgt (wohl wissend, dass seine Fehldiagnose auch schwer ins Auge hätte gehen können). Dennoch, mein Nervensystem und offenbar der gesamte Organismus hatten sich entspannt, die Botschaft von baldiger Genesung wahrgenommen und offenbar auch umgesetzt.“

 

Wir hypnotisieren uns ständig durch unseren Alltag. Mal haben wir den Aufmerksamkeitsfokus auf dem Streit vom letzten Tag, mal sind wir ganz in einem Buch oder Film abgetaucht, mal denken wir intensiv darüber nach, wie der Arztbesuch morgen ablaufen wird. Jeder kennt es vermutlich, tief in Gedanken versunken zu sein. Dieses (Alltags-)Tranceerleben, auch als hypnotische Phänomene bezeichnet, gehört für jeden Menschen zu seinen alltäglichen Erfahrungen und somit zu den Ressourcen, über die jeder von uns verfügt (Muffler, 2015). In Trance wird die Aufmerksamkeit fokussiert und die Wahrnehmung äußerer Einflüsse reduziert. Subjektiv werden solche Prozesse meist als automatisiert und unwillkürlich erlebt und beschrieben (Schmidt, 2017). Jeder kennt doch die Situation, dass man in tiefen Gedanken Auto fährt und überrascht feststellt, schon angekommen oder im schlechtesten Fall am Ziel vorbeigefahren zu sein. Damit ist gemeint, dass wir im Laufe des Tages unseren (Aufmerksamkeits-)Fokus, ähnlich wie einen Lichtkegel, oft unbewusst auf das eine lenken und dann wieder auf etwas anderes und gleichzeitig in dieser Situation viele andere Dinge nicht wahrnehmen (können).

Erfahren Menschen nun beispielsweise eine Krebs- oder eine andere Diagnose, löst diese Nachricht bei ihnen selbst wie auch bei Angehörigen oft eine veränderte Bewusstseinsfokussierung aus, da sie sich in einem emotionalen Ausnahmezustand befinden. In aller Regel wird die Diagnose mit Leiden und Tod assoziiert und kaum ein Mensch denkt sofort an die geheilten Verläufe dieser Erkrankung (Muffler, 2015). Gunther Schmidt (2017) zitiert gerne den Spruch aus der schamanistischen Tradition von Hawaii: „Energy flows, where attention goes.“ Also da, wo die Aufmerksamkeit hingeht (Krebsdiagnose, Chemotherapie, Krankheit etc.), entsteht nun eine verwirklichte Physiologie. Denken und Emotionen, all unsere Energie fließen dorthin. Also ein negatives Tranceerleben, das sich rund um die Erkrankung, Behandlung und die negativen Auswirkungen dreht. Hierfür prägten Stephan Gilligan und Gunther Schmidt (2017) den Begriff der Problemtrance. Diese Menschen sind in diesen Momenten hochsuggestibel, als seien sie in Hypnose, und sehr empfänglich für alles Gesagte, vor allem für Vorschläge und Angebote zu diesem Thema.

Es braucht für den Menschen allerdings nicht immer eine schwerwiegende Diagnose, um eine Problemtrance zu erleben, gerade, wenn man etwas schon länger als ein Problem erlebt. Das kann in der Partnerschaft, in der Familie oder im Job sein. Dann zeigen u. a. die Erfahrungen und die Erkenntnisse aus der Hypnoseforschung und Hypnotherapie, dass sich der Wahrnehmungsfokus der Betroffenen typischerweise einengt und die Erlebnisprozesse besonders mit dem Problemmuster assoziiert sind. Durch das Kreisen und Fokussieren um das Problem fallen einem kaum Lösungsstrategien ein und das Problem wird zumeist stabilisiert oder verstärkt (Schmidt, 2017). Unsere Aufmerksamkeitsfokussierung auf ein Problem oder eben eine Diagnose geschieht mit all unserer Wahrnehmung durch unsere Sinne, die wiederum mit einer dementsprechenden Physiologie, Denkprozessen und Emotionen einhergehen. Diese Tranceprozesse/-phänomene wirken auf unwillkürlicher Ebene und laufen schneller und wirksamer ab als jegliche willkürlichen Prozesse.

Aus der Neurobiologie wie auch aus der Primingforschung wissen wir, dass vieles unter der Schwelle des bewussten Denkens geschieht. Das heißt, unbewusste Einflüsse wirken in uns und steuern unser tägliches Handeln und Erleben mit (Bargh, 2018). Diese Einflüsse sind so schnell und unterschwellig, dass wir die Beeinflussung kaum merken. Die Primingforschung hat hier wirklich sehr spannende Erkenntnisse gesammelt und das Buch von Bargh (2018) „Vor dem Denken“ lässt immer wieder staunen, was Sekunde für Sekunde unser Erleben beeinflusst. Es scheint für die Einschätzung der Persönlichkeit meines Gegenübers einen großen Unterschied zu machen, ob ich gerade ein warmes oder kaltes Getränk in der Hand habe. In Konfliktgesprächen sollte ich darauf achten, ob ich auf weichen oder harten Stühlen sitze, denn die Wahrnehmung des Sitzes scheint einen Einfluss auf den Ausgang des Konfliktes zu haben. Wer sich für Erkenntnisse aus der Primingforschung interessiert, dem seien neben dem Buch von John Bargh (2018) sehr die beiden Dokumentationsreihen „Das automatische Gehirn“ ans Herz gelegt.

 

Fortsetzung folgt…

Auszug aus dem Buch „Mit der Angst an der Hand und der Hoffnung im Rucksack – Ein ressourcenorientierter Wegbegleiter für Menschen, die eine schwere Krankheit erleben“ (von Ursula Bastänier und Janine Mertens, Erscheinungsdatum im Jahr 2023)

Kapitel 1 des Buches – Resilienz (Teil 1) –  finden Sie hier

Kapitel 2 des Buches – Ressourcen (Teil 1) finden Sie hier 

 

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