6b111047-39e3-4f0a-87c2-cf3407590f04

Kapitel 1 des Buches „Mit der Angst an der Hand und der Hoffnung im Rucksack“- Resilienz (Teil 1)

In den Jahren 2020/21 ist ein Buch entstanden, welches den Weg von Ursulas Krebsdiagnose über die Chemotherapie bis zur Zeit danach persönlich und fachlich begleitet und dokumentiert hatte. An dieser Stelle werden wir nach und nach Auszüge aus dem Buch veröffentlichen, welches im nächsten Jahr erscheinen wird…

Federn lassen und dennoch schweben –

das ist das Geheimnis des Lebens. 

Hilde Domin, deutsche Lyrikerin

 

 „Mir ist es wichtig keine „Leidensgeschichte“ zu erzählen, sondern viel mehr einen Weg zu beschreiben, der sehr viel Veränderung, Erkenntnisse und inneren Reichtum mit sich brachte, einen Weg, der auch mit Ängsten, Stärken, Reaktionen meiner Umwelt, Verbundenheit, Bewältigung, Vertrauen in den Körper und immer wieder mit Hoffnung versehen ist.“

 

Die Diagnose einer Krebserkrankung tritt meist unerwartet in ein Leben ein. Ein Gefühl der Lebensbedrohung entsteht mit Sorgen um körperliche Beeinträchtigungen und einer Erschütterung des Selbst- und Weltbildes. Es kommt zu einer Aktivierung all der negativen inneren Bilder und Überzeugungen, die wir über Krebs in uns haben. Nichts ist mehr so, wie es war: gestern fühlte man sich (meist) noch gesund, jetzt ist man lebensbedrohlich erkrankt. Krankheiten, Lebenskrisen und Unglück können dann Gefühle, Emotionen und Erfahrungen aktivieren, die mit Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit verbunden sind. Auch Ängste und Stresssymptome sind natürliche und physiologisch begründete Reaktionen des Körpers, die in solch einer ungewöhnlich belastenden Situation ausgelöst werden können. Der Körper aktiviert sogenannte Notfallreaktionen durch Signale, die meist aus einem älteren, tiefer liegenden Bereich des Gehirns stammen, der insbesondere im Hirnstamm lokalisiert ist (Hüther, 2016). Eine Krebserkrankung kann uns plötzlich bewusst machen, was wir zwar alle wissen, aber im Alltag gerne beiseiteschieben und am liebsten verdrängen: Das Leben ist zutiefst verletzlich und endlich.

Gerade dieses Gefühl der Lebensbedrohung kann auch bei bis zur Diagnose psychisch gesunden Menschen Symptome auslösen, die plötzlich einen Krankheitswert besitzen. Nun können sich z. B. Bilder, Gedanken oder Alpträume aufdrängen, die mit der Erkrankung oder der medizinischen Behandlung verbunden sind. Schreckhaftigkeit, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, ständige Alarmbereitschaft oder Vermeidungsverhalten sind Stresssymptome, die z. B. auch bei der psychiatrischen Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung erhoben werden würden, doch genauso nach der Diagnose einer Krebserkrankung auftauchen können und nicht pathologisch sind, sondern normale Reaktionen des Körpers. Lediglich ein Drittel der Menschen, die eine Krebserkrankung bekommen, weisen im Behandlungsverlauf eine psychische Störung auf, die weiterer (psychotherapeutischer) Behandlung bedarf (Tschuschke, 2020). Ein Großteil zeigt „normale“ Reaktionen auf eine höchst belastende Situation, die dennoch für den Betroffenen und den Angehörigen Beeinträchtigungen mit sich bringen können. Aus genau diesen Gründen ist es wichtig, am besten von Anfang an die Selbstheilungskräfte, Zuversicht und Selbstfürsorge von Menschen wieder zu reaktivieren, die während des Krankheitsverlaufes dringend benötigt werden. Irgendwann im Laufe der persönlichen (Krankheits-)Geschichte wird es darum gehen, nicht nur zu überleben, sondern auch gut zu überleben. Eine Lebensqualität zu entwickeln, die die Erkrankung in das alltägliche heutige Leben zu integrieren versucht. Fangen Sie an, das Steuer über Ihre eigenen Vorstellungen, Ängste, Gefühle und Haltungen (wieder) in die Hand zu nehmen und selbst zu lenken, statt sich von Ihren (negativen) Emotionen lenken zu lassen. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass wir selbst und unsere soziale Umgebung in der Lage sind, unser Gehirn ein Leben lang zu formen, um solche Veränderungen zu bewirken. Dies ist eine herausfordernde und zumeist schwere Aufgabe, manchmal eine unmöglich erscheinende Idee, doch an manchen Tagen vielleicht auch machbar … einen Versuch ist es wert!

Jeder Weg durch eine Krise ist individuell und sollte individuell unterstützt werden. Jeder Mensch sollte sich in diesen herausfordernden Zeiten in seiner eigenen Welt abgeholt fühlen, dort, wo er gerade steht, und genau darauf achten, was er und sein kluger Körper brauchen. Das Buch ersetzt keine medizinische und/oder psychotherapeutische bzw. psychoonkologische Behandlung. Es möchte lediglich hilfreiche Ideen und Impulse anbieten, die zur Aktivierung der Selbstfürsorge, Selbstheilungskräfte und Selbstwirksamkeit in einer Zeit voller Ängste, Sorgen und Hoffnungslosigkeit hilfreich sein könnten und gebraucht werden, um eine medizinische Behandlung und darüber hinaus besser durchzustehen. Gleichzeitig möchten wir auch erläutern, weshalb und wofür aus fachlicher und wissenschaftlicher Sicht genau diese Impulse hilfreich sein könnten und was mit Ihrem Körper in Situationen voller Sorgen und Ängste geschieht. Wir sind davon überzeugt, dass Menschen, die gut informiert sind und Wissen über ihr seelisches und körperliches Erleben besitzen, eher im Sinne eines Kohärenzgefühls (Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit) agieren können. Sie erleben sich selbstwirksamer und kompetenter, da sie ihre Situation besser verstehen und als bewältigbarer einschätzen und letztlich möglicherweise einen (Lebens-)Sinn erkennen können. Wie wir noch sehen werden, geht damit auch eine gesteigerte Lebensqualität einher. Ursula beginnt ihre persönliche Geschichte durch ihren Krankheitsverlauf und ihre Behandlung mit Erinnerungen aus der Kindheit und Eltern, die eine gute Basis für Resilienz schufen.

Fortsetzung folgt…

Auszug aus dem Buch „Mit der Angst an der Hand und der Hoffnung im Rucksack – Ein ressourcenorientierter Wegbegleiter für Menschen, die eine schwere Krankheit erleben“ (von Ursula Bastänier und Janine Mertens, Erscheinungsdatum im Jahr 2023)

Bleiben Sie informiert!

In unserem Newsletter finden Sie regelmäßig neue Angebote der Praxis Weiße Villa sowie spannende Tipps und Methoden.

Wir freuen uns auf Sie!

Das könnte Sie auch interessieren: