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Kapitel 1 des Buches „Mit der Angst an der Hand und der Hoffnung im Rucksack“- Resilienz (Teil 2)

„Es war eher ein stilles Vertrauen darin, dass sich die Dinge im Weitergehen fügen werden.“

 

Einen Grundstein der Resilienzforschung legte Emmy Werner, eine 1929 in Deutschland geborene und später nach Amerika emigrierte Entwicklungspsychologin. Sie begann 1955 auf der Insel Kauai in Hawaii, knapp 700 Kinder über 40 Jahre lang wissenschaftlich zu begleiten. 30 % der Kinder lebten unter Hochrisikobedingungen, was bedeutet, dass sie in einem Umfeld von Armut, Vernachlässigung, Alkohol- und Drogenkonsum, Gewalt und Kriminalität aufwuchsen. Von diesen extrem belasteten Kindern wiesen später zwei Drittel (psychische) Störungen auf und ein Drittel entwickelte sich positiv und zeigte keine Verhaltensauffälligkeiten. Sie wuchsen zu selbstbewussten, fürsorglichen und leistungsfähigen Erwachsenen heran, die in stabile Strukturen eingebunden waren (Jocham, 2020). Emmy Werner bezeichnete sie als resiliente Personen, da sie trotz hoher Risikofaktoren und stressreicher kritischer Lebensereignisse eine gute Entwicklung zeigten und sich von schweren Traumata wieder erholten. Als schützende Faktoren identifizierte sie personinterne Merkmale/Kompetenzen (z. B. Selbstständigkeit, Problemlösefähigkeit), Familienmerkmale (z. B. stabile fürsorgliche Bezugsperson, Schulbildung der Mutter) und extrafamiliale Faktoren (z. B. Kontakte zur Peergroup, Nachbarn als Ressource).

Über Resilienz finden sich viele Definitionen, u. a. dass sie die menschliche Widerstandsfähigkeit gegenüber belastenden Situationen, Lebenskrisen bezeichnet und somit einen positiven Gegenbegriff zur Vulnerabilität (Verwundbarkeit oder Verletzlichkeit) darstellt (Gabriel, 2005). Kalisch (2020, S. 28) definiert Resilienz als die Aufrechterhaltung oder schnelle Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während und nach Widrigkeiten. Häufig wird Resilienz auch als psychische Robustheit, Widerstandskraft oder Unverwundbarkeit bezeichnet (Henninger, 2016). Windle (2010) definiert Resilienz als den Prozess der Überwindung, Bewältigung und Anpassung von bzw. an bedeutsame Stresserlebnisse oder Traumata. Hierbei unterstützen persönliche Veranlagung, individuelle Ressourcen, die eigenen Lebensumstände und die Umgebung diese Person dabei, sich anpassen zu können und widrige Umstände zu überwinden. Diese psychische Robustheit variiert im Laufe des Lebens. In seiner Definition bezieht Windle direkt die unterstützenden Komponenten wie Ressourcen mit ein. Sisto und Kollegen führten 2019 eine aufwendige Literaturrecherche durch, um eine einheitliche aktuelle Definition von Resilienz zu versuchen. Sie resümieren, „that psychological resilience is the ability to adapt positively to life conditions. It is a dynamic process evolving over time that implies a type of adaptive functioning that specifically allows us to face difficulties by recovering an initial balance or bouncing back as an opportunity for growth” (Sisto et al., 2019, S. 22).

Aus der Erfahrung mit an Krebs erkrankten Menschen und deren Angehörigen kann Resilienz als eine Fähigkeit verstanden werden, trotz andauernder Belastung und stressvoller Ereignisse eine individuelle Haltung, ein Kohärenzgefühl (Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit) angesichts existentieller Herausforderungen zu bewahren oder weiterzuentwickeln. Resilienz könnte auch als der Wille zu überleben bezeichnet werden! Sie scheint sogar ein sogenanntes posttraumatisches Wachstum initiieren zu können (Diegelmann, Isermann & Zimmermann, 2020, S. 100), auf das ganz zuletzt in diesem Buch eingegangen wird. Auch Studien, die die Auswirkungen von resilienzfördernden Interventionen bei onkologisch erkrankten Patienten untersuchten, konnten deren positive Effekte auf die psychische Gesundheit feststellen und empfehlen, sie anzuwenden (Ludolph, Kunzler, Stoffers-Winterling, Helmreich & Lieb, 2019). Es zeigte sich zudem, dass insbesondere im Zeitraum unmittelbar nach der Diagnose und parallel zu der somatischen Behandlung die Steigerung von eigener Resilienz die größten positiven Auswirkungen auf die eigene Widerstandsfähigkeit und posttraumatische Reifung besitzen kann.

Fortsetzung folgt…

Auszug aus dem Buch „Mit der Angst an der Hand und der Hoffnung im Rucksack – Ein ressourcenorientierter Wegbegleiter für Menschen, die eine schwere Krankheit erleben“ (von Ursula Bastänier und Janine Mertens, Erscheinungsdatum im Jahr 2023)

Kapitel 1 des Buches  – Resilienz (Teil 1) –  finden Sie hier…

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