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Kapitel 2 des Buches „Mit der Angst an der Hand und der Hoffnung im Rucksack“- Ressourcen (Teil 1)

„Eine wichtige Entdeckung war für mich, Ressourcen in meinem Körper zu erforschen, und zwar solche, die sich trotz Krankheit gesund und wohl anfühlten. Verknüpft mit dazugehörigen Empfindungen wie Kraft, Wärme, Ruhe, Kribbeln etc. werden diese zu einem Ort des Wohlfühlens, der mir vor allem bei den Behandlungen hilft, Ruhe zu bewahren und im Gleichgewicht zu bleiben.“

 

Wenn Menschen durch eine schwerwiegende Diagnose, traumatische Erfahrung oder krisenhafte Situation überwältigt werden, sind die eigenen Ressourcen oftmals vom einen auf den anderen Moment im Nebel der Herausforderung, des akuten Stresses, der Schmerzen oder der Verunsicherung verborgen. Doch genau diese Fähigkeiten sind es, die Sie brauchen werden, um Ihre Krise zu meistern, sie zu bewältigen und vielleicht sogar gestärkt aus ihr hervorzugehen. Mit eigenen Kräften und/oder mit der Unterstützung liebevoller und zugewandter Menschen sollten Sie sich auf den Weg machen, sie (wieder) zu finden und zu aktivieren. Denn jeder Mensch hat Ressourcen und Fähigkeiten in und um sich, die hilfreich sein können, um seinen Zielen näherzukommen und eine Herausforderung zu meistern, auch Sie!

Ein sehr anerkanntes psychologisches Modell, das verstehbar macht, wie Stress, Ressourcen und Stressbewältigung zusammenhängen, ist das transaktionale Stressmodell von Lazarus und Folkmann (z. B. Lazarus & Folkman, 1984, 1987). Sie gehen davon aus, dass innerhalb der stressbezogenen Beziehung zwischen der Person und der Umwelt und den daraus resultierenden Konsequenzen als entscheidende Vermittler eine kognitive Bewertung (appraisal) und die Stressbewältigung (coping) stehen.

Wir alle sind ständig Reizen aus der Umwelt ausgesetzt, sogenannten Stressoren, wie z. B. Lärm, Geldsorgen, Konflikten etc. Unser Wahrnehmungsfilter sortiert viele Reize aus, damit wir nicht überflutet werden, einige von ihnen schaffen es aber, durch diesen Filter in unseren Fokus bzw. in unsere Wahrnehmung zu rücken. Vielleicht kennen Sie von sich selber, dass Ihnen manche Geräusche erst bewusst werden, wenn Sie jemand darauf aufmerksam gemacht hat. Nun geschieht ganz automatisch eine erste (primäre) Bewertung dieses Reizes oder Stressors, die zu drei verschiedenen Ergebnissen kommen kann. Interpretieren wir den Stressor als positiv bzw. günstig oder irrelevant, dann ist er hier „beendet“ und man wendet sich vermutlich wieder anderen Dingen zu. Wenn wir jedoch die Situation bzw. den Reiz als stressend oder gefährlich bewerten, aber noch nicht einschätzen können, ob dies mit einer Bedrohung, einem Schaden/Verlust oder eventuell mit einer Herausforderung einhergeht, folgt wieder ganz automatisch eine zweite (sekundäre) Bewertung, die nun die eigenen Bewältigungsfähigkeiten und Bewältigungsmöglichkeiten einschätzt. An dieser Stelle kommen die Ressourcen ins Spiel, indem wir überlegen, ob die eigenen Ressourcen ausreichen, um diese Situation zu bewältigen. Kommen wir zu der Überzeugung, dass dies der Fall ist, dann endet der Stressor jetzt an dieser Stelle. Vermutlich sagen wir uns so Dinge wie: „das schaffe ich schon“, oder überlegen bereits, wie wir die Situation konkret angehen werden. Kommen wir allerdings zu dem Schluss, dass unsere Ressourcen (noch) nicht ausreichen, so geraten wir in eine Stress-Situation. Nun entscheiden wir, welche Handlungen und Bewältigungsstrategien (Copingstrategien) folgen müssen, um die Situation zu bewältigen. Lazarus und Folkman unterscheiden hier zwischen einem problemorientierten und einem emotionsorientierten Handeln. Problemorientiert bedeutet, dass wir versuchen, die Situation zu verändern, indem wir vielleicht den Stressor vermeiden oder versuchen, gegen ihn zu kämpfen. Emotionsbasierte Bewältigungsstrategien versuchen nicht den Stressor selbst zu verändern, sondern den Bezug und unsere Emotionen dazu, indem wir beispielsweise Aktivitäten ausprobieren, um die Ängste zu reduzieren, oder soziale Unterstützung mobilisieren. Basierend auf diesen neuen Informationen geschieht eine Neubewertung, wir schätzen also nochmals ein, wie bedrohlich die Situation ist. Mit dieser letzten Neubewertung vollzieht sich ein Anpassungsprozess und im besten Falle haben wir für künftige Stressoren dazugelernt.

Dieses psychologische Stressmodell ist zwar sehr theoretisch und die einzelnen Prozesse können gleichzeitig ablaufen oder etwas wird übersprungen, doch erklärt es sehr eindrücklich, dass Stresssituationen als komplexe Wechselwirkungsprozesse zu verstehen sind. Zudem zeigt das Modell, dass nicht die objektive Beschaffenheit der Reize oder Situationen für die Stresssituation von Bedeutung ist, sondern deren subjektive Bewertung durch den Betroffenen. Das bedeutet also, wie schätzen Sie Ihre (Stress-)Situation ein? Kehren Sie einmal einen Moment in sich. Schätzen Sie Ihre Situation als stressend oder gefährlich ein? Wie ordnen Sie Ihre derzeitigen Handlungen und Bewältigungsstrategien ein? Eher als problemorientiert, indem Sie nicht drüber sprechen wollen, oder als emotionsorientiert, da Sie sich schon auf die Suche nach Ihren Ressourcen und einen guten Umgang mit Ihren Gefühlen machen?

 

Fortsetzung folgt…

Auszug aus dem Buch „Mit der Angst an der Hand und der Hoffnung im Rucksack – Ein ressourcenorientierter Wegbegleiter für Menschen, die eine schwere Krankheit erleben“ (von Ursula Bastänier und Janine Mertens, Erscheinungsdatum im Jahr 2023)

Kapitel 1 des Buches  – Resilienz (Teil 1) – finden Sie hier

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